Was bedeutet es angesichts der Motivation-und-Talent-Schere, selbstbestimmte Projekte in BG durchzuführen?
Erkenntnisse aus den Gesprächen
Der qualitative Unterschied zwischen schwachen und starken Leistungen der Schüler*innen fällt viel deutlicher aus, weil die Ergebnisse nicht mehr durch eine gleichmachende Aufgabenstellung gestützt werden. Es wird aber auch sichtbar, wie neben den wenigen spannenden Projekten auch viele schwache oder unreflektierte Arbeiten entstehen. Nicht alle Schüler*innen lassen sich dafür gewinnen, ästhetisches Neuland zu betreten. Neben denjenigen, die sich nicht über ein «schönes» Bild oder eine Imitation hinausbewegen wollen, gibt es auch uninteressierte, untalentierte und sogar einige Schüler*innen, die sich dem Fach ganz verweigern. Eine Lehrperson, die freier unterrichtet, setzt sich also der potenziellen Kritik der ganzen Schule aus, wenn sie sich mit Arbeiten zeigt, von denen die meisten qualitativ nicht mit den Ergebnissen aus den engeren Aufgabenstellungen der anderen Lehrpersonen mithalten können. Umso interessanter ist dann die Perspektive, ganz aus dem üblichen BG-Kanon auszubrechen und umso mehr auf individuelle Lösungen zu setzen.
Kontextualisierung der Aussagen
Helga Kämpf-Jansen teilt die Erfahrung, dass «immer ein kleiner Rest – zwei bis fünf SchülerInnen – solche Arbeitsformen generell verweigert, hat nichts mit einem Konzept ‘komplexe ästhetische Bildung’ bzw. ‘ästhetische Forschung’ zu tun, sondern mit den Gegebenheiten von Schule, Familie und Gesellschaft». (Kämpf-Jansen, 2012, S. 263) Angenommen sie betrachtet diese Jugendlichen nicht als Kollateralschäden, gibt sie doch auch keinen Rat, wie mit dieser Situation umgegangen werden könnte. Die Aussagen von Doris Stauffer stammen zwar aus einem ganz anderen Rahmen, könnten in diesem Zusammenhang aber doch interessant sein: «ich arbeite am liebsten mit richtigen laien. ich versuche vor allem mit aktionen, spielen, körperübungen, die spontane reaktion und das denken der leute zu aktivieren. in den abendkursen mache ich fast keine kritik, ermuntere die leute eher, all die banalitäten, bei denen sie fürchten, sie zu zeigen, auch durchzuführen. ich will ein klima schaffe, in dem die schüler ihre hemmungen verlieren. ich versuche dann gegenseitige auseinandersetzungen zu provozieren und kritik nur sehr zurückhaltend zu üben [sic].» (Koller, 2015, S. 92)
Meine Haltung
Dass sich qualitative Unterschiede klarer zeigen, muss als Chance dafür verstanden werden, dass sich dadurch auch die Bedürfnisse individuell fördern lassen. Ich glaube, dass die Sichtbarkeit des individuellen Stands zum Vorteil aller – auch der Schwächeren – gewandelt werden kann. Das Zeigen der Ergebnisse freier Aufgaben fordert aus den oben beschriebenen Gründen proaktives Kommunizieren und viel Selbstbewusstsein von der Lehrperson.
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