Wie bedingt der Stundenplan selbstbestimmte Projekte in BG?
Erkenntnisse aus den Gesprächen
Den Schüler*innen bietet die Doppellektion pro Woche (wie im Grundlagenfach BG) sehr wenig Zeit, um sich in ihre individuellen Projekte vertiefen zu können. Kurze Arbeitsphasen jeweils durch eine Woche voneinander zu trennen, verunmöglicht die Intensität der Auseinandersetzung. Für die Schüler*innen ist das Wechseln zwischen den Fächern anspruchsvoll und erschwert die für eigene Beobachtungen und Fragen nötige Konzentration und Entspannung. Für tiefere, individuelle Besprechungen aller Projekte einer Klasse ist eine Doppelstunde zu knapp. Darunter leiden besonders Schüler*innen, die mehr Unterstützung brauchen. Angesichts des Zeitmangels bei der Betreuung muss sich eine Lehrperson zwei Mal überlegen, ob sie Zeit für gestalterische oder inhaltliche Inputs «abzweigen» kann. Beim Einrichten des Zimmers bedeuten die ständigen Wechsel grossen Aufwand und Stress im Zwei-Lektionen-Takt.
Eine angesprochene Lösung oder Konsequenz liegt im Loslassen und Vertrauen auf die Selbstständigkeit der Schüler*innen. Ein zweiter Lösungsansatz liegt im pragmatischen Beschränken der freien Projekte an das Machbare: Einschränkungen im Material, in den Techniken oder den Dimensionen. Ein dritter Vorschlag ist, durch das informelle Abtauschen von Stunden die Stundenzahl zu verdoppeln, die Intervalle zu verkürzen und im Gegenzug jede Klasse nur während eines Semesters zu unterrichten. Dieser Kunstgriff würde intensivere Unterrichtsphasen ermöglichen.
Kontextualisierung der Aussagen
Die Frage zu den Zeitgefässen als bestimmende Bedingung des BG-Unterrichts an der Kanti – eine Doppellektion die Woche – tauchte in den Gesprächen auf. Die Oberflächlichkeit des Unterrichts in diesem Stundenplan, wie sie im Gespräch angesprochen wird, erinnert an das, was Maset als «die Einstimmung in die Kultur des Groben» an den heutigen Schulen beobachtet. (vgl. Maset, 2012, S.12) Helga Kämpf-Jansen bezeichnet in ihren «Thesen zur Diskussion» die Intensität wiederholt als wesentliches Merkmal ästhetischer Arbeit (vgl. Kämpf-Jansen, 2012, S. 252 und S. 276f). Sie beschreibt sie als «situativ ganz und gar von einer Sache bestimmt und ausgefüllt sein» – mit allen Sinnen, dem Körper, dem Kopf, den Emotionen und mit der Möglichkeit, einen «Flow»-Zustand zu erreichen (vgl. ebd., S. 277). Das ist sicher mit ein Grund, warum Helga Kämpf-Jansen die zerstückelte Zeitstruktur auf Gymnasialstufe in ihrer vierten These aus «Ästhetisches Lernen – 10 Thesen zur Diskussion» folgendermassen kritisiert: «Ästhetisches Lernen bedarf angemessener Zeiten. Wenn es – wie poetische Alltagsweisheiten sagen – für alles eine Zeit gibt, dann gibt es auch eine individuell bemessene Zeit für kreative Arbeit. Die verordnete 45-Minuten-Zeit gehört nicht dazu.» (ebd., S. 252)
Konkrete Vorschläge oder Aussagen zum Umgang mit Stundenplanproblemen konnte ich in der Literatur nicht finden. Mit dem Ziel eines möglichst hohen Kontrasts führe ich in diesem Zusammenhang den Vergleich zum Black Mountain College an (wohin Schüler*innen immerhin ab einem Alter von 17 Jahren zur Schule gingen). Am Black Mountain College wurden gestalterische Kurse mit zwei, drei oder vier Stunden pro Woche ausgeschrieben. Sie nahmen hier einen zentralen Stellenwert im Curriculum ein (vgl. Blume, 2015, S.52). Ausserdem kann kaum zwischen Arbeit im oder ausserhalb des Klassenzimmers unterschieden werden, weil die Studierenden, die Dozierenden und deren Familien abgeschieden lebten, zusammen assen und die anfallenden Arbeiten zusammen verrichteten und so in permanent intimem Kontakt miteinander standen (vgl. ebd., S. 196f).
Meine Haltung
Ich habe in den vergangenen Jahren im gestalterischen Vorkurs an der Kunstschule Liechtenstein Visuelle Kommunikation unterrichtet. Der Zeitumfang des Kurses betrug 80 Lektionen im Jahr, was vergleichbar ist mit dem BG-Unterricht einer Kanti-Klasse im Grundlagenfach. Im Unterschied dazu fand der Unterricht dort an zwei Halbtagen pro Woche statt und war dafür auf zehn Wochen beschränkt. Hier konnte ich erleben, wie sich die Schüler*innen in die Inhalte vertiefen konnten, genug Zeit für Betreuung da war und die Prozesse nicht durch den Stundenplan ins Stocken gerieten. Tatsächlich bin ich mit diesem Stundenplan keinem der oben beschriebenen Probleme begegnet. Das im Gegensatz zum Unterricht im Rahmen meiner Praktika, woher ich die in den Gesprächen geäusserten Problematiken bestätigen kann. Ich sehe die Schranken, die der Stundenplan dem Unterricht – und vor allem freien Projekten mit hoher, inhaltlicher Komplexität – entgegenhält, deshalb als schwerwiegende Behinderung. Für BG vielleicht mehr noch als für andere Fächer.
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